Menschen und ihre Geschichten in einem Wiener Call Shop. In der Telefonkabine versuchen sie Distanzen in ferne Länder zu überwinden.Das Telefon wird zum Beichtvater, Friedensstifter und zur Intimitätsmaschine. Eine Weltreise im Ton, ein Raum im Bild.
Aus dem Filmmaterial von Ciao Chérie hat Nina Kusturica den Trailer für das this human world Filmfestival 2014 gestaltet.
DER ORTLOSE ORT, WO NIEMAND FREMD IST
Ein Callshop im Migrantenbauch von Wien. Menschen aus aller Welt sitzen in den Kabinen und vertelefonieren ihr hart verdientes Geld, um mit anderen Menschen, die ihnen wichtig sind, in Kontakt zu bleiben. Der österreichisch-bosnischen Filmemacherin Nina Kusturica gelingt mit ihrem dritten Langfilm „Ciao Cherie“ ein wunderbar poetisches Stück Kino…
Kusturica erzählt die Geschichten von Menschen aus aller Welt in Form von episodenhaften Telefongesprächen. Alle Telefonate finden in der Originalsprache statt. Die jeweiligen Gesprächspartner am anderen Ende treten nur als akustische Phantome auf, bekommen durch die ausgeklügelten Dialoge – der Großteil des Films basiert auf einem vorbereiteten Skript der Regisseurin – aber für den Zuseher Charakter und imaginative Konturen…
Ein besonderer Kunstgriff wandte die Regisseurin mit der Filmmusik an: Die sich quer durch den Film ziehenden Wiegen- und Kinderlieder aus der jeweiligen Heimat dienen als „innere Stimme“ der Telefonierenden. Die Stücke werden von den Schauspielern selbst intoniert und kommen ohne instrumentale Begleitung aus. Das verleiht den Liedern eine berührende Intimität, die mit den tragikomischen Gesprächsinhalten und der grenzabsurden Callshop-Realität kontrastiert…
Kusturicas „Ciao Cherie“ ist ein humanistisches Lehrstück für all jene, die immer noch in „Wir und die anderen“ – Dimensionen denken.
HELLO, VIENNA CALLING!
Menschen kommen und gehen, nehmen in gläsernen Telefonkabinen Platz, schicken ihren Familien Geld in die Heimat und erzählen ihre Geschichten telefonierend. Sobald sich die gläserne Tür schließt, scheinen die ProtagonistInnen in einer Art Beichtstuhl, an einem Ort der kompletten, nackten Ehrlichkeit. Freudige Gesichter, Tränen, sowie unangenehme Gesprächspausen oder Streits spielen sich in der Telefonkabine ab. Während sie mit ihrem geträumten Gegenüber sprechen sind die ProtagonistInnen isoliert von ihrer Umwelt – in diesem gläsernen Beichtstuhl suchen sie die Verbindung zu ihren Mitmenschen. Doch schon sobald sie die Kabine verlassen, bezahlen und aus der Tür treten wirken sie auf mich noch isolierter, noch ferner von ihren Emotionen und dieser erschaffenen Realität von Japan, Syrien, Nigeria, Italien oder anderen Ländern in der Telefonkabine. Genau dieses erträumte Gegenüber und die Macht der Sprache, und Stille machen den Film für Kusturica auch stilistisch so interessant. Sie sei fasziniert von der Macht der Stimmen, die am Telefon nicht lügen, nichts verstecken können, auch wenn sie es teils versuchen.
Ein bisschen ist für mich der Film, auch mit seiner schlau gewählten Musik, wie eine kurze Weltreise im Traum. Die Bilder, die gezeigt werden sind zwar fast immer nur stille Porträtaufnahmen der telefonierenden Charaktere – trotzdem entreißen sie mich in die Welt, die sie schaffen.
EIN CALL-SHOP ALS UMSCHLAGPLATZ VON LEBENSGESCHICHTEN
Das Telefon als Intimitätsmaschine und als Entfremdungsapparat. Verbindungen, die man halten wollte, reißen ab. Geflüchtet, gestrandet, gekommen, um zu bleiben oder doch nur um schnell etwas Geld zu überweisen. Worte, die ganze Welten enthalten, ein mitunter skurril-witziger Mikrokosmos erzählter Universen: Ciao Chérie, in Gedanken wird man immer bei sich sein…
Die Kombination von Sprache und Bild (Kamera: Michael Schindegger) macht Räume auf, wo nur Gedanken wären. Räume, die größer sind als die Redezellen, die Beichtstühle, die Festhalteboxen, die Loslassungszimmer, die Intimitätskabinen der Einsam- und der Glückseligkeit. Wo nur gehört werden kann, wird jedes Wort bedeutend. Jeder Atemzug, jede Pause, jede Intonation.
Ciao Chérie
Spielfilm
Regie: Nina Kusturica
A/2017/87 min. DCP/ HD/ Farbe